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Das Ja der Iren zum Nizza-Vertrag

Angesichts des deutlichen Ja’s der Iren zum Nizza-Vertrag, stellt sich die Frage, wieso die Iren zum genau gleichen Vertrag, den sie letztes Jahr verworfen hatten, diesmal Ja sagten.

Von Antony Coughlan, Dublin

Es gab zwei Hauptunterschiede zwischen den beiden Nizza-Urnengängen.

(1) Während beim ersten Referendum die Ja- und die Nein-Seite mit öffentlichem Geld gleichmässig unterstützt wurde, war dies beim zweiten Referendum nicht mehr der Fall. Die Rolle der laut Gesetz neutralen Referendumskommission wurde im Dezember 01 verändert. Bei der ersten Abstimmung hatte diese Kommission grosse Geldbeträge zur Verfügung, die beiden Seiten gleichermassen zuflossen. Dies half der Nein-Seite, da diese sonst kein Geld hat. Die Tatsache, dass es beim ersten Referendum auf beiden Seiten substantielle öffentliche Gelder hatte, führte dazu, dass private Interessen es nicht für nötig befanden, Werbung für die Ja-Seite zu betreiben.

Im zweiten Nizza-Referendum war dem nicht mehr so. Die Kommission hatte kein Geld mehr zur Verfügung. Deshalb war die Bahn frei für „private“ Propaganda, der die Nein-Seite wenig entgegenzusetzen hatte. Die Befürworter konnten 20 mal mehr Geld investieren als die Gegner. Die grossen Plakate wurden von den Befürwortern auf offiziellen Plakatwänden platziert, während die Gegner auf das wilde Aufhängen von Plakaten durch Freiwillige angewiesen waren.

(2) Der Abstimmungstext wurde geändert. Die Frage, die den Iren anlässlich des zweiten Referendums gestellt wurde, war eine eigentliche Fangfrage. Es wurde eine zusätzliche spezielle Klausel in die Verfassungsänderung eingebaut. Diese besagte, dass Irland keinem EU-Verteidigungs-Pakt beitreten könne, ohne vorgängig eine Abstimmung abzuhalten. Dies hatte mit dem Vertrag von Nizza jedoch nichts zu tun und war bezüglich der Ratifikation des Vertrages ziemlich irrelevant. Diese dritte Klausel musste zudem mit den übrigen als Gesamtpaket bejaht oder verneint werden. Dabei hätte sie separat der Abstimmung unterbreitet werden müssen, da sie inhaltlich mit dem Nizza-Vertrag wenig zu tun hatte.

Die Referendumsinformation ist laut Gesetz gehalten, die Bürgerinnen und Bürger sachlich über Referenden zu informieren. Sie wurde für diese Aufgabe mit dem doppelten Budget ausgestattet (4.5 Millionen Euros). Die Fangfrage im zweiten Referendum bedeutete aber, dass die Informationen der Referendumskommission notwendiger weise verwirrend waren. Die Informationen waren – auf Grund der breiten Akzeptanz des Zusatzes - zugunsten der Ja-Seite gefärbt. Im zweiten Referendum war deshalb die Referendums Kommission, die bei der ersten Abstimmung durch ihre Informationen objektiv für die Nein-Seite wirkte, objektiv für die Ja-Seite tätig.

Die Veränderungen an den grundsätzlichen Regeln der Durchführung der Abstimmung erlaubten es der irischen Regierung und ihren Verbündeten, ihre Interessen bei der zweiten Abstimmung durchzusetzen. Es gelang ihnen, Nizza 2 als eine Abstimmung für oder gegen „Arbeit und Wachstum“, „EU-Erweiterung“ und „Verankerung der Neutralität in der irischen Verfassung“ darzustellen – alles Anliegen, die mit dem Nizza-Vertrag wenig zu tun hatten. Die meisten Ja-Sager stimmten in der Tat für diese wünschbaren Dinge. Sie dachten zwar, sie würden über den Nizza-Vertrag abstimmen – ohne jedoch über die Veränderungen im Institutionengefüge der EU, die er beinhaltete, informiert zu sein.

Weitere Faktoren, die weniger bedeutend waren, spielten zu Gunsten der Ja-Seite. Die Ja-Seite wurde bei ihrem Versuch, Irrelevantes in den Vordergrund zu schieben, durch massive äussere Einmischung gestärkt: 10 Premierminister der EU-Beitrittskandidaten baten die irische Bevölkerung inständig um ein Ja. Ebenso Vaclav Havel und Lech Walesa, sowie die Botschafter der EU-Beitrittskandidaten, die einen Brief an die Irish Times schrieben. Der tschechische und polnische Botschafter griffen auch sonst aktiv in die Kampagne ein. Die irische, katholische Hierarchie unterstützte die Ja-Seite – was sie in den vorausgegangenen Abstimmungen nie gemacht hatte. Diese Faktoren spielten jedoch im Vergleich zu den Hauptmanipulationen durch die Regierung eine untergeordnete Rolle.

Nur durch die geschilderten Manipulationen konnte die Irische Regierung die Abstimmung gegen die demokratische Opposition gewinnen. Trotzdem gab es immer noch 37% Nein-Stimmen. Diese Stimmen stellen einen starken Block gegen die EU-Staatsverfassungs-Vertrag, der für die Jahre 2004/2005 vorbereitet wird, dar.


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