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Düstere Aussichten für mediale Kontrolle der Multis

Nur wenige Tage nach den Enthüllungen der Panama Papers hat die Mehrheit im EU-Parlament am Donnerstag, den 14. April 2016 einer Ausweitung des Geschäftsgeheimnis-Schutzes zugestimmt, die die Rechte von WhistleblowerInnen und JournalistInnen stark beschränkt. Die großen Fraktionen setzten sich damit über die dringenden Warnungen von Berufsverbänden, Gewerkschaften sowie 800‘000 Menschen in ganz Europa hinweg. Mit der neuen Richtlinie 1) wird es für Whistleblower und Journalisten erheblich schwieriger, Missstände, Betrug und anderes Fehlverhalten von Konzernen aufzudecken. Was in Zukunft als Geschäftsgeheimnis gilt, können Unternehmen weitgehend selbst definieren. Sie entscheiden, welche Informationen geheim gehalten werden sollen und damit unter besonderen Schutz fallen. Die Verlogenheit, die das EU-Parlament damit an den Tag legt, ist bemerkenswert: letztes Jahr hatte das EU-Parlament dem Luxleaks-Whistleblower Antoine Deltour den Europäischen Bürgerpreis verliehen.

Whistleblower müssen in Zukunft beweisen, dass ihre Enthüllungen von öffentlichem Interesse sind. Investigativer Journalismus wird damit behindert und es wird für Unternehmen wesentlich leichter gegen Enthüllungen rechtlich vorzugehen. Menschen, die den Mut haben, Missstände aufzudecken, sind noch mehr als bisher möglicher Strafverfolgung ausgesetzt. Der Luxleaks-Whistleblower Antoine Deltour und der involvierte Journalist hatten am Vortag der Abstimmung im EU-Parlament darauf aufmerksam gemacht, dass die Richtlinie ihren Fall nicht abdecken würde. Die von ihnen aufgedeckte Steuervermeidung großer Konzerne ist zwar unmoralisch, aber nicht illegal – und damit wären sie nicht geschützt.

Lizenz zur Vertuschung

In vielen EU-Mitgliedstaaten wird durch die Richtlinie die Definition drastisch ausgeweitet, welche Informationen als Geschäftsgeheimnis geschützt werden können. Die neue Definition (Artikel 2) schließt z.B. weder Informationen über illegales oder schädliches Handeln aus, noch Informationen über laufende Verfahren wegen solchen Verhaltens.

Die Richtlinie schützt einseitig die Interessen der Geschäftsgeheimnisträger, aber schafft keine Mindeststandards für den Schutz des öffentlichen Interesses: Die Mitgliedstaaten dürfen über die Richtlinie hinaus noch weitergehenden Geschäftsgeheimnisschutz im nationalen Strafrecht verankern. Bereits existierende Regelungen werden durch die Umsetzung der Richtlinie höchstwahrscheinlich sogar ausgeweitet, weil die weitergehende Definition von Geschäftsgeheimnissen vermutlich für alle Rechtsbereiche Anwendung finden wird. Die Ausnahmen, die die Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern und der Presse definiert, gelten hingegen nicht automatisch für das nationale Strafrecht.

Beispiel: In Deutschland müssen Unternehmen bislang nachweisen, dass ein legitimes Schutzinteresse vorliegt, wenn sie eine Information als Geschäftsgeheimnis schützen lassen wollen. Bei Informationen über illegale Aktivitäten liegt das grundsätzlich nicht vor. Außerdem können nur betriebsbezogene Informationen geschützt werden – das schließt z.B. den Schutz von Informationen über laufende Untersuchungen, etwa wegen Wettbewerbsverletzungen, vom Geschäftsgeheimnisschutz aus. Diese grundlegenden Einschränkungen der Definition von Geschäftsgeheimnissen würden entfallen.

Einschüchterung von Whistleblowern

Die Richtlinie wird es Firmen, die auf frischer Tat ertappt wurden, leichter machen, Whistleblower und investigative JournalistIinnen zu verklagen. Die Beweislast dafür, dass sie im öffentlichen Interesse gehandelt haben, liegt dann bei den Whistleblowern – obwohl für das nachzuweisende „allgemeine öffentliche Interesse“ gar keine gemeinsame Definition existiert.

Die Richtlinie hindert Mitgliedsstaaten nicht daran, Whistleblower zu kriminalisieren. Im Januar letzten Jahres wollte die französische Regierung im Vorgriff auf diese Richtlinie ein Gesetz erlassen, das drei Jahre Gefängnis und eine Strafe von €375.000 für das Aufdecken von Geschäftsgeheimnissen vorsah. Obwohl die Initiative verhindert werden konnte, lässt sich daran die zunehmende Härte erahnen, die auch in anderen Mitgliedsstaaten zu erwarten ist.

Angesichts des gewaltigen Machtgefälles zwischen Whistleblowern (üblicherweise Angestellte) und Firmen, die sich langwierige Rechtsstreitigkeiten leisten können, wird dies zwangsläufig zu einem Einschüchterungseffekt führen. Dabei hat sich in den letzten Monaten wiederholt gezeigt, dass wir zunehmend auf Insider angewiesen sind, um Fehlverhalten aufzudecken, das sich nationalen Strafverfolgungsbehörden und demokratischer Kontrolle entzieht.

Risiken für öffentliche Sicherheit und Aufsicht

Weil es in der Richtlinie nicht darauf ankommt, zu welchem Zweck geheime Informationen erlangt, genutzt oder weitergegeben werden, schützt sie Unternehmen bei Weitem nicht nur vor unlauterem Wettbewerb oder Wirtschaftsspionage, wie das in Deutschland bisher der Fall ist. Sie schirmt die Unternehmen auch von zahlreichen legitimen Informationsanfragen ab. Einige Beispiele: Dieselgate: Der Deutsche TÜV konnte Motorensoftware nicht auf Abschalteinrichtungen zur Manipulation von Abgastests untersuchen, weil Autohersteller sich mit Rückendeckung der Deutschen Bundesregierung auf den Geschäftsgeheimnisschutz beriefen. 2) Tödliches Experiment: Während eines Arzneimitteltests in Frankreich Anfang des Jahres kam ein Mann zu Tode. Als WissenschaftlerIinnen sich Zugang zu entscheidenden Testdaten verschaffen wollten, stellte sich das Pharmaunternehmen quer – mit Verweis auf ihre Geschäftsgeheimnisse. Geheime Studien: Die kontroverse Einstufung des Wirkstoffs Glyphosat in Monsantos Unkrautvernichter Roundup durch die EU-Kommission als „wahrscheinlich nicht krebserregend“ widerspricht nicht nur den Ergebnissen der Weltgesundheitsorganisation WHO – sie basiert auch auf einer Studie der Industrie, in die unabhängige WissenschaftlerInnen keinen Einblick erhalten, weil die Unternehmen sie als Geschäftsgeheimnis ansehen. 3) Gefahr für die Rechte und Mobilität von Arbeitnehmenden

In Verhandlungen mit dem Rat wurde eine Änderung verworfen, die sichergestellt hätte, dass im Beruf erworbenes Wissen nicht als Geschäftsgeheimnis eingestuft werden kann. Damit setzen sich Arbeitende nach dem Jobwechsel für sechs Jahre dem Risiko aus, von ihrem ehemaligen Arbeitgebenden verklagt zu werden. Auch wenn die Richtlinie selbst in diesem Fall keine Sanktionen vorsieht, erlaubt sie Mitgliedsstaaten, diese einzuführen. Dass die Richtlinie Firmen praktisch erlaubt, beliebige Informationen als Geschäftsgeheimnisse einzustufen, gefährdet nach Einschätzung einer Expertin auch die Arbeit von BetriebsrätInnen. 4)

Quellen:

1) 52013PC0813, Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung /* COM/2013/0813 final - 2013/0402 (COD) */, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A52013PC0813&from=EN und http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=REPORT&reference=A8-2015-0199&language=EN)
2) http://www.welt.de/wirtschaft/article149147139/TUeV-erhebt-schwere-Vorwuerfe-gegen-Bundesregierung.html
3) http://www.nature.com/news/researchers-question-design-of-fatal-french-clinical-trial-1.19221
4) http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/63056_64419.htm


Weitere Quellen:

http://panamapapers.sueddeutsche.de/articles/56fd26cfa1bb8d3c3495aba1/
https://juliareda.eu/2016/04/geschaeftsgeheimnisse-schwaechen-whistleblower/ (obiger Text wurde leicht überarbeitet aus dieser Quelle entnommen)
http://www.votewatch.eu/en/term8-protection-of-trade-secrets-against-their-unlawful-acquisition-use-and-disclosure-draft-legislative--2.html#/##vote-tabs-list-4


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