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Transit-Stolpern in Österreich



Die Bevölkerung erhoffte sich von der 1972 durchgängig fertiggestellten Brennerautobahn endlich die Erlösung von den 5000 Motorfahrzeugen, die täglich über die Bundestrasse rollten. Doch die weitere Entwicklung zeigte, wie falsch jene Hoffnung war. Der Verkehr wuchs nicht nur auf der Autobahn, sondern erreicht auch bald wieder auf der Bundesstrasse die alten Frequenzen. Hoffnung liess der Transitvertrag mit der EU aufkommen. Beamte der Tiroler Landesregierung liessen jedoch das vorgesehene Ökopunktesystem ins Leere laufen. Der EU-Beitritt brachte im Güterbereich schliesslich 20% Mehrverkehr auf der Strasse und 20% weniger Verkehr auf der Schiene.

von Gerhard Stürzlinger*

In den letzten Monaten ist in der betroffenen Bevölkerung entlang der österreichischen Transitrouten die Empörung wieder deutlich angestiegen. Kein Wunder, wenn wir uns die neuesten Transitverkehrsdaten betrachten.

EU-Gütertransit auf der Strasse

80 % des alpenquerenden EU-Gütertransits fahren im Tirol auf der Strasse über den Brennerpass. Die Gesamtgütermenge (Schiene und Strasse) ist von 1993 auf 1994 um 12,4% gewachsen. Damit betrug sie nunmehr 27,2 Mio. Nettotonnen. Davon wurden 18,8 Mio. t von 988 000 LKW transportiert. Insgesamt fuhren 1,136 Mio. LKW über den Brenner. 10,39 Mio. t wurden auf der Schiene transportiert, davon 8,4 Mio. t reines Frachtgut. Im Jänner 1995 ist die Strassenzahl um 18 % gestiegen, und gleichzeitig die auf der Rollenden Landstrasse um 19% gesunken! Wie konnte das passieren? Warum hat das hochgelobte Transitabkommen mit dem Ökopunktesystem hier nicht gegriffen? Wo bleiben die Versprechungen der Politiker, dem Transitwahnsinn Einhalt zu gebieten? Sollte nicht der Beitritt zur EU auch hier bessere Bedingungen schaffen?

Vom Leiden zur Empörung und zum Transitabkommen mit der EU

Ein Blick zurück zeigt die Ursachen der heutigen, dramatischen Lage deutlich auf:

Die Brenner-Autobahn wurde 1972 durchgehend fertiggestellt und die Bevölkerung des Wipptales erhoffte sich davon die Erlösung von den ca. 5.000 Motorfahrzeugen, die durchschnittlich täglich auf der Bundesstrasse fuhren. Aber es dauerte nicht lange, bis wegen der Bemautung der Autobahn auf der Bundesstrasse wiederum 5.000 Motorfahrzeuge unterwegs waren und zusätzlich auf der Autobahn 15.000 - 20.000 Motorfahrzeuge das Tal überschwemmten. Anfang der 80er Jahre wurde von der Landesforstdirektion eine Untersuchung über den schlechten Waldzustand des Wipptales erstellt und auf die eindeutige Verursachung durch den starken Transitverkehr verwiesen. Die betroffene Bevölkerung des Wipptales begann sich zu empören. Durch eine grosse Zahl von Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Aktionen entstand ein hoher medialer und später auch politischer Druck, der in der 2. Hälfte der 80er Jahren zu Verhandlungen über den Transitverkehr mit der EG führte. Das daraus entstandene Transitabkommen war prinzipiell in seiner Tendenz gut angelegt: Anstreben der Kostenwahrheit, Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene, Reduktion der Abgase und die Kontingentierung der LKW. Aber von Anfang an waren auch die Schlupflöcher klar zu erkennen: Kostenwahrheit ohne konkrete Massnahmen und ohne Zeitplan, keine finanzielle Absicherung für die Verlagerungsmassnahmen auf die Schiene und eine falsche Ausgangsbasis beim Ökopunktesystem, das eine Abgasreduktion und die Kontingentierung der LKW garantieren sollte. Aber bevor wir überhaupt noch feststellen konnten, wie wirksam das Transitabkommen sein würde, kam es zu den EU-Beitrittsverhandlungen. Dabei erlebten wir die nächste grosse Enttäuschung. Denn, obwohl das Parlament und einige Landtage beschlossen hatten, dass das Abkommen mit Punkt und Beistrich in die EU übernommen werden müsse, wurde es de facto aufgelöst und durch einige, magere Übergangsbestimmungen ersetzt.

Ein verwässerter Transitvertrag

Betrachten wir die Verwandlung der drei oben erwähnten Punkte des Transitabkommens genauer, können wir die negative Entwicklung klar erkennen:

1. Kostenwahrheit:

• Durch die Übernahme der EU-Wegekostenrichtlinie wurde der Schwerverkehrsbeitrag, der bis dahin in Österreich durchschnittliche ca. 70.000 ÖS/LKW /Jahr ausmachte, auf 17.000 ÖS gesenkt.
• Die Strafe für eine Überschreitung des 38 t-Limits (500 ÖS) wurde erlassen und damit das 40 t-Limit eingeführt.
• Zugleich wurde die Rollende Landstrasse um ca. 5 % verteuert und für Kunden aus Nicht-EU-Ländern kommen nun 20
% MWSt. hinzu.

2. Verlagerung auf die Schiene:

Der Ausbau des Eisenbahnnetzes wurde in das Programm der "Transeuropäischen Netze" übernommen, das ja auch den Ausbau der Autobahnen zum Ziel hat und damit eine echte Verlagerung nicht bewirken kann. Der in Planung befindliche Brennerbasistunnel samt Zulaufstrecken scheint nicht finanzierbar und wird von den meisten Antitransit- und Umweltschutzgruppen inzwischen abgelehnt, da auch er unter den heutigen ökonomischen Bedingungen den Verkehr nicht reduziert.

3. Ökopunktesystem:

Das Ökopunktesystem wird mittels zweier Ausgangszahlen berechnet: Die Anzahl der EU-Transitfahrten von 1991 und der NOx-Wert je KWh und LKW. Beide Zahlen wurden aber nicht statistisch ermittelt; der NOx-Wert wurde mit 15,8 g NOx/KWh/LKW festgesetzt, die Transitzahl auf 1,475.000 LKW.

Die realen Zahlen der Jahre 1993 und 1994 zeigten deutlich, dass durch die falsche Ausgangsbasis viel zu viele Ökopunkte ausgegeben worden waren. Von Beamten der Tiroler Landesregierung wurde berechnet, dass der reale Ausgangswert 1991 bei ca. 13,5 mg NOx und 1,060.000 Transitfahrten lag. Dies hätte 14,31 Mio. Ökopunkte ergeben. Tatsächlich waren aber 23,3 Mio. ausgegeben worden. Dadurch wurde schon im ersten Jahr zum Schein eine Reduktion der Abgase um ca. 40% erreicht. Real hatte sich nichts geändert. Laut Abkommen sollte die Transit-LKW-Anzahl im Laufe der Vertragsdauer von 12 Jahren maximal um 8% den 1991er Wert überschreiten dürfen. Da aber der 1991er Wert viel zu hoch angesetzt war, greift diese Regelung, trotz realer Überschreitung, nicht.

Ungehindertes Verkehrswachstum vor Alpenschutz

Im Transitabkommen war, um derartige Missbräuche zu vermeiden, eine regelmässige Revision des Ökopunktesystems durch eine bilaterale Kommission der EU und Österreichs vorgesehen. Nach dem Beitritt zur EU erfolgt diese Revision in Form einer Überprüfung, ich zitiere: "nach den üblichen EU-Verfahren und gemäss den Prinzipien des Gemeinschaftsrechtes, wie reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes, insbesondere des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, Umweltschutz im Gesamtinteresse der Union und Verkehrssicherheit." Daraus geht klar hervor, dass die besondere Situation des Alpenraumes keine Berücksichtigung mehr findet und nach wie vor ungehindertes Verkehrswachstum gefordert wird. Eine allfällige Kommission ist dann multilateral und Österreich kann somit locker überstimmt werden.

Daraus lässt sich deutlich erkennen, dass das österreichische Volk mehrfach von der Regierung betrogen worden ist: Die nachlässige Formulierung und Umsetzung des Transitabkommens; das Aufgeben der Verhandlungsposition beim EU-Beitritt; keine nachhaltige Reaktion auf das unzulässige und unzumutbare Ansteigen des Transitverkehrs.

Forderungen der österreichischen Transitgruppen

Am 21. und 22. April fand in Salzburg ein Treffen der österreichischen Transitgruppen statt; die Resolution lässt den derzeitigen Stand der Debatte gut erkennen:

1.Die Bundesregierung wird aufgefordert, das Ökopunktesystem an die reale Ausgangsbasis anzupassen und darüber hinaus ein generelles Nachtfahrverbot für LKW über 7,5 t sowie eine Mauterhöhung auf den Transitrouten zu erlassen. 2.Die Schweizer Regierung wird aufgefordert, ihre Position im Rahmen des Verkehrsprotokolls der Alpenkonvention mindestens dem geltenden Standard, wie z.B. dem Volksentscheid zur "Alpeninitiative" anzupassen. 3.Verkehrsminister Klima und die EU werden aufgefordert, das Konzept der "Transeuropäischen Netze" immerhin an die ökologischen Zielsetzungen der EU - etwa der Klimakonvention - anzupassen und ein strategische Umweltverträglichkeitsprüfung vorzusehen. 4.Die Bundesregierung wird aufgefordert, die sieben vorrangigen Autobahn- und Schnellstrassenteilstücke des Arbeitsübereinkommens 1994 zurückzustellen bis ökologische, ökonomische und verkehrstechnische Entscheidungsgrundlagen im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes vorliegen. 5.Die Mauteinnahmen eines wie immer gearteten zukünftigen Mautsystems müssen für die Ökologisierung des Gesamtverkehrssystems und für den Zinsendienst und die Tilgung der ASFINAG-Schulden verwendet werden.

Begriffserklärungen:

ASFINAG: AutoStrassenFInanz AG, baut in Österreich Strassenabschnitt, die vom Staat nicht finanziert werden. Für diese wird dann die Maut erhoben, bis das Strassenstück finanziert ist

Maut f (PL.-en): Abgaber von Waren und Gütern beim Übergang auseinem Landesgebiet in ein anderes. Zoll. Der Begriff wird in Österreich für die Strassenabgabe für gewissen Strassenabschnitte verwendet.

NOx pro Kwh: NOx wird pro Energieeinheit gerechnet, hier Kilowattstunden

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