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"Europa der Regionen" und die Macht in der deutschen Mitte

Einen flammenden Appell zur Zerschlagung der europäischen Nationalstaaten hat anlässlich des Sezessionskonflikts in Katalonien das Onlineportal der Wochenzeitung Die Zeit publiziert. Die Autorin des Appells, Ulrike Guérot, wirbt seit geraumer Zeit dafür, "der Nationalstaat" müsse in Europa "verschwinden". An seine Stelle sollten Regionen mit einer jeweils "eigenen Identität" treten, die sich "ethnisch" definieren lasse. Als Beispiele führt Guérot Gebiete mit stark separatistischen Tendenzen wie Flandern oder Tirol an. Die Autorin stellt sich selbst in die Tradition "europäischer Föderalisten" der unmittelbaren Nachkriegszeit, die damals - unter Anleitung westlicher Geheimdienste - den Aufbau eines warendurchlässigen europäischen Wirtschaftsraums in klarer Frontstellung zu den sozialistischen Staaten Osteuropas konzipierten. Regionalistische Pläne gefördert hat in den frühen 1980er Jahren etwa auch Wolfgang Schäuble, damals als Präsident einer Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen, die - inspiriert von vormaligen NS-Funktionären - die "nationalstaatliche Sperrwirkung" von Grenzen im Interesse großer Konzerne kritisierte. Aktuelle Wirtschaftsgrafiken lassen erahnen, welche Gebiete der EU im Falle einer Regionalisierung zum stärksten Machtblock des Kontinents würden: der Süden und die Mitte Deutschlands und angrenzende Gebiete von Flandern bis Norditalien.

http://www.german-foreign-policy.com

Von der CDU zu den Grünen

Einen flammenden Appell zur Zerschlagung der europäischen Nationalstaaten hat im Oktober 2017 das Onlineportal der Wochenzeitung Die Zeit publiziert. Autorin ist die Politologin Ulrike Guérot. Guérot war in der ersten Hälfte der 1990er Jahre als Mitarbeiterin des CDU-Bundestagsabgeordneten Karl Lamers tätig und an der Erstellung des Schäuble/Lamers-Papiers beteiligt, das den Aufbau eines Kerneuropa propagierte. Anschließend war sie Mitarbeiterin des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors, Expertin mehrerer Think-Tanks (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, German Marshall Fund, European Council on Foreign Relations), um 2014 an der Berliner European School of Governance ein European Democracy Lab zu gründen. Einst CDU-Mitglied, steht sie heute den Grünen nahe.[1]

"Ethnische Region"

Guérot geht in der deutschen Öffentlichkeit bereits seit geraumer Zeit mit einem angeblich neuen Polit-Konzept hausieren, dessen Grundlage die Auflösung der europäischen Nationalstaaten ist. Wie sie erklärt, werde "der Nationalstaat ... verschwinden".[2] An seine Stelle sollten in Europa "50 bis 60" Regionen treten, die jeweils "ihre eigene Identität" hätten.[3] Dabei bezieht sie sich auf das Konzept der "ethnische[n] Region" [4], also einer völkisch definierten Abstammungsgemeinschaft. Wie Guérot schreibt, seien etwa in Irland oder in Zypern "ethnische Region und Staatlichkeit nicht kongruent". Weitere Beispiele seien Flandern, Venetien oder Tirol. In Flandern und Venetien grenzen sich jeweils wohlhabendere Regionen, die sich sprachlich-ethnisch ("niederländisch" bzw. "venetisch") definieren, von ärmeren Landesteilen ab, während das deutschsprachige Konstrukt "Tirol" Teile Österreichs und Norditaliens umfasst.

Guérot zählt zu den Regionen, die von nationalstaatlichen Fesseln zu befreien seien, auch Katalonien. Tatsächlich begreift sich auch die katalanische Bewegung, die gegenwärtig ihre Abspaltung von Spanien vorantreibt, in weiten Teilen ethnisch. So kooperiert die Autonomiebewegung eng mit Bürgern Frankreichs, die außerhalb der spanischen Region Katalonien leben, sich aber ebenfalls als "ethnische Katalanen" verstehen; dort heißt es auf Kundgebungen: "Weder Frankreich noch Spanien, sondern ein Land Katalonien".[5] In der spanischen Region Katalonien hat sich am Wochenende eine Sprecherin der linken Partei CUP darüber beschwert, dass Spanier von außerhalb Kataloniens zu einer Demonstration nach Barcelona gereist seien: Als "Spanier" in Katalonien zu demonstrieren entspreche einer "kolonialen Logik".[6]

Europa der Regionen

Wie Guérot erklärt, könne nur eine "Europäische Republik", in der "die Regionen als zentrale, konstitutionelle Akteure" fungierten, die von nationalstaatlichen Konflikten erschütterte EU retten.[7] So sollten etwa die Regionen "eine zweite Kammer" im Europaparlament bilden - "einen europäischen Senat". Guérot hat mehrfach erklärt, die politischen Kompetenzen müssten zwischen der EU und ihren Regionen neu verteilt werden. Demnach wird sich in Brüssel ein Machtzentrum herausbilden, das etwa die Außen- und die Militärpolitik kontrolliert, während den Regionen etwa über die Gewerbesteuer ein eigenständiger finanzieller Spielraum verbleibt. Freilich wäre letzterer von der Wirtschaftskraft der jeweiligen Region abhängig. Jenseits seiner völkischen Konstituierung wäre ein "Europa der Regionen" zudem mit einer kompletten Entmachtung seiner kleinsten Einheiten verbunden. Guérot kritisiert, einerseits sei "die EU ... voll von großen Regionen (etwa Nordrhein-Westfalen), die in der EU nicht mitbestimmen dürfen, und andererseits kleinen Staaten (etwa Luxemburg oder Malta), die das dürfen". Das müsse sich ändern. Malta etwa hätte künftig statt einer von 28 Stimmen im Europäischen Rat nur noch eine von "50 bis 60" Stimmen im "europäischen Senat"; es könnte dem ökonomisch dominanten Zentrum der EU nichts mehr entgegensetzen.

Vereinigte Staaten von Europa

Guérots Konzept hat Vorläufer, die zum einen von geheimdienstlichen Milieus der Nachkriegszeit, zum anderen von interessierten Wirtschaftskreisen gefördert wurden, dabei aber, jeweils unter dem Deckmantel einer angeblichen regionalen Demokratie, gänzlich anderen Interessen dienten. Guérot selbst nennt als Vorbild "die europäischen Föderalisten", insbesondere den Schweizer Denis de Rougemont. Die "europäischen Föderalisten" zielten seit Mitte der 1940er Jahre auf die Gründung der "Vereinigten Staaten von Europa" als eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets ab - als Bollwerk gegen die sich herausbildende sozialistische Staatenwelt sowie in Abwehr gegenüber den damals auch in Westeuropa populären Ideen, die auf eine Abkehr von der bisherigen Wirtschaftsweise zielten. Dafür wurden die Föderalisten erst vom CIA-Vorläufer Office of Strategic Services (OSS) und dessen Berner Residenten Alan Dulles, dann von der CIA unterstützt und gesteuert.[8] Rougemont, OSS-Vertrauter und bekennender Föderalist, klagte 1948 in einer "Botschaft an die Europäer", "Europa" sei "versperrt mit Schranken, die den Umlauf seiner Güter hemmen" und an denen es ökonomisch zugrunde zu gehen drohe; dabei könne es "geeint" schon "morgen das größte politische Gebilde und die größte Wirtschaftseinheit unserer Zeit aufbauen". Rougemont setzte seine Aktivitäten von 1952 bis 1966 auch als Präsident des CIA-finanzierten "Kongress für kulturelle Freiheit" fort.

"Identitätsverluste"

Regionalistische Konzepte vorangetrieben hat später auch Wolfgang Schäuble, mit dem Guérot 1994 bei der Arbeit am Schäuble/Lamers-Papier in Kontakt stand. Schäuble war 1979 Präsident der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG) geworden, einer Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Bedeutung der Grenzen in Europa herabzustufen. Eine bedeutende Rolle spielten dabei wirtschaftliche Interessen, weshalb die AGEG zuverlässige Unterstützer in der Industrie fand. In einer "Europäischen Charta der grenz- und grenzübergreifenden Regionen", die 1981 von der AGEG verabschiedet wurde, heißt es, die "Beseitigung wirtschaftlicher und infrastruktureller Hemmnisse" müsse dringend vorangetrieben werden. So sei etwa zur "Schließung bestehender grenzüberschreitender Verkehrslücken" der "Ausbau und Bau grenzüberschreitend abgestimmter Kombiterminals und Güterverkehrszentren" vonnöten. Außerdem müsse der "Ausbau grenzüberschreitender Energienetze" gefördert werden. Überhöht wurde das mit Behauptungen wie derjenigen, Europa sei aus einem "Flickenteppich an Geschichtslandschaften" entstanden, wobei Grenzen gleichsam "Narben" in Europas Regionen geschaffen sowie zu "Identitätsverlusten" in der Bevölkerung geführt hätten. Die bestehende "nationalstaatliche Sperrwirkung" müsse vermindert, wenn nicht abgeschafft werden, hieß es in dem unter Schäubles AGEG-Vorsitz erstellten Papier.[9]

Deutsche Kontinuitäten

In den Gremien der AGEG und in ihrem unmittelbaren Umfeld sind ehemalige NS-Funktionäre an Planungen zur "Regionalisierung" der Grenzgebiete beteiligt gewesen, darunter Gerd Jans, vormals Mitglied der Waffen-SS in den Niederlanden, der für den "Generalplan Ost" verantwortliche Raumplaner Konrad Meyer, Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank und der, wie der Publizist Hans-Rüdiger Minow schreibt, "wegen Grenzsubversion im französischen Elsass bekannte Alfred Toepfer". Minow hat die Kontinuitäten zu NS-Konzepten in einer ausführlichen Studie beschrieben.[10]

Deutschlands Übermacht

Guérot wirbt für ihr Regionalisierungs-Konzept abschließend mit der Behauptung, durch die Zerschlagung der Nationalstaaten könne "Deutschlands Übermacht ... überwunden" werden. Das Gegenteil ist der Fall. Wirtschaftsgrafiken der EU-Statistikbehörde Eurostat zeigen, in welchen Regionen der Reichtum Europas und damit die ökonomische Macht gebündelt sind. Dabei handelt es sich um einen Block, der sein Zentrum im Süden und in der Mitte Deutschlands hat, sich im Westen auf Flandern und Teile der Niederlande erstreckt, im Süden auf Teile Österreichs und Norditaliens sowie um einzelne Regionen West- und Nordeuropas. Eine Reihe von ihnen unterhält enge Bindungen an die Bundesrepublik bzw. an deutsche Regionen (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Dieser klar deutsch dominierte Block hätte wohl kaum Schwierigkeiten, ein "Europa der Regionen" zu kontrollieren. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7412/


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