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Kurzinfos September 2019



Britannien spalten

Die Berliner Außenpolitik verstärkt ihre Unterstützung für die schottischen Nationalisten, die ein zweites Referendum zur Abspaltung aus dem Vereinigten Königreich vorbereiten. In der vergangenen Woche ist Nicola Sturgeon, First Minister der schottischen Regionalregierung sowie Vorsitzende der Scottish National Party (SNP), zu vertraulichen Gesprächen mit Vertretern des außenpolitischen Establishments in der deutschen Hauptstadt empfangen worden. Sturgeon traf nicht zuletzt den Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth (SPD). Offizieller Gegenstand der Zusammenkünfte war der britische EU-Austritt, den Sturgeon und die schottischen Nationalisten erbittert bekämpfen. Tatsächlich hat Sturgeon darüber hinaus um Unterstützung für ihr Vorhaben geworben, Schottland abzuspalten sowie es als eigenen Staat in die EU zu führen. Diesen Plan hatten Berliner Regierungspolitiker schon vor gut drei Jahren offen befürwortet. Allerdings ist die dafür notwendige zuverlässige Mehrheit in der schottischen Bevölkerung bislang nicht in Sicht.

Die schottische Regionalregierung unter First Minister Nicola Sturgeon treibt ihre Kampagne für ein zweites Abspaltungsreferendum unvermindert voran. Vor dem Referendum vom 18. September 2014 hatten die schottischen Nationalisten, darunter Sturgeon, mehrmals erklärt, die Abstimmung, die die Bevölkerung an den Wahlurnen treffe, solle für eine Generation gelten. Als sich allerdings mit 55,3 Prozent eine deutliche Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich aussprach, stellte Sturgeon unmittelbar klar, sie werde sich mit dem Ergebnis keineswegs zufriedengeben und perspektivisch eine erneute Abstimmung anstreben. Den äußeren Anlass dazu bot das Brexit-Referendum vom 23. Juni 2016, bei dem mit 51,9 Prozent die Mehrheit im Vereinigten Königreich für den Austritt aus der EU votierte, während in Schottland 62,0 Prozent und damit eine deutliche Mehrheit den Verbleib in der EU befürworteten. Sturgeon, deren Regionalregierung bislang ihre Wahlversprechen im sozialen Bereich und im Gesundheitswesen allenfalls ansatzweise einlöst [1], nahm die deutliche Diskrepanz zum Anlass, um nicht nur zum wiederholten Mal für ein zweites Referendum einzutreten, sondern Schottlands Abspaltungsperspektive direkt mit einem Verbleib in der EU zu verbinden.

Dies hat Politikern der Berliner Regierungsparteien und sogar deutschen Ministern den Anlass gegeben, die Abspaltungsbemühungen der schottischen Nationalisten offen zu befeuern und damit die Zerschlagung eines offiziell verbündeten Landes zu fördern. Schon am 26. Juni 2016 erklärte der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für EU-Angelegenheiten, Gunther Krichbaum (CDU), er rechne mit dem "Erfolg" eines neuen schottischen Sezessionsreferendums; Schottland werde in der EU verbleiben. Anfang Juli 2016 erklärte der damalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), wenn Schottland aus dem Vereinigten Königreich austrete, werde die EU es "ganz gewiss ... aufnehmen".[2] Am 9. August 2016 wurde First Minister Sturgeon vom Staatsminister im Berliner Auswärtigen Amt Michael Roth zum Gespräch empfangen. Im September 2016 nahm dann der Fraktionsvorsitzende der Scottish National Party (SNP) im House of Commons, Angus Robertson, an einer Klausurtagung der bayerischen SPD-Landtagsfraktion in Bad Aibling teil.[3]

Weder die unverminderte Kampagne der schottischen Nationalisten noch die Unterstützung durch Berlin haben es bislang vermocht, die Stimmung in der schottischen Bevölkerung ernsthaft zu verändern. Umfragen haben bislang kaum je eine Mehrheit für eine Abspaltung ergeben. Für ein zweites Referendum innerhalb von zwei bis drei Jahren hat sich seit Mitte 2017 meist weniger als ein Viertel der Bevölkerung ausgesprochen. Einen kurzzeitigen Umschwung hatte Anfang August der überaus stark polarisierende Amtsantritt von Premierminister Boris Johnson gebracht, der in Schottland wenig Zustimmung findet, weshalb den Tories dort herbe Wahlverluste vorausgesagt werden. In einer ersten Reaktion ergab eine Umfrage Ende Juli, dass sich nun plötzlich 46 Prozent für die Abspaltung vom Vereinigten Königreich aussprachen, nur 43 Prozent hingegen für einen Verbleib.[4] Allerdings ist bereits vergangene Woche eine erneute Umfrage zum gegenteiligen Ergebnis gekommen. Demnach befürworteten 59 Prozent den Verbleib im Vereinigten Königreich; lediglich 27 Prozent unterstützten die Forderung von First Minister Sturgeon nach einem zweiten Sezessionseferendum bereits in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres.[5]

Dabei erhalten die schottischen Nationalisten inzwischen erneut ganz offen Unterstützung aus der Bundesrepublik. So hat First Minister Sturgeon in der vergangenen Woche Deutschland zu einer Reihe politischer Gespräche besucht. Am Dienstag, dem 17. September, nahm sie in Potsdam den M100 Media Award entgegen, den ein Gremium von Journalisten aus den deutschen Leitmedien jährlich vergibt. Zu den bisherigen Preisträgern gehören der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (2009), EZB-Präsident Mario Draghi (2012) sowie der ukrainische Politiker Vitali Klitschko, der die Auszeichnung unmittelbar nach dem Umsturz des Jahres 2014 in der Ukraine entgegennahm, den er in enger Zusammenarbeit mit deutschen Stellen herbeizuführen geholfen hatte.[6] Offiziell bekam Sturgeon den Preis, da sie sich im Vereinigten Königreich "als Politikerin mit eindeutig pro-europäischer Haltung" ausgezeichnet habe.[7] Die Laudatio hielt der Ministerpräsident des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU); die politische Hauptrede war Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) übertragen worden. Sturgeon machte sich die Chance zunutze, um in ihrer Dankesrede vor prominentem Publikum unmittelbar für ein erneutes schottisches Abspaltungsreferendum zu werben: Schottland werde, bestätigte sie, als ein "unabhängiges Land" nach der EU-Mitgliedschaft streben.[8]

Am Mittwoch, dem 18. September, hat Sturgeon dann auch bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), einem der einflussreichsten außenpolitischen Think-Tanks in Berlin, für die Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich und seine anschließende Aufnahme in die EU geworben. Sie sage voraus, "dass Schottland in den nächsten Jahren unabhängig ... und zu einem unabhängigen Mitglied der EU" werde, erklärte sie wörtlich in einer eigens anberaumten Pressekonferenz.[9] Vor dem Auftritt, der von wohlwollender Berichterstattung in Leitmedien der Bundesrepublik begleitet war ("Nicola Sturgeon - das nette Gesicht des Nationalismus" [10]), hatte sie sich laut Auskunft der DGAP "in vertraulicher Runde mit Vertreterinnen und Vertretern aus der europapolitischen Fachcommunity ausgetauscht". Zudem traf sie, gleichfalls vertraulich, mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth zusammen. Roth lobte danach via Twitter das "positive Verhältnis zwischen Deutschland und schottischen Amtskollegen".

Mit seiner Unterstützung für die schottischen Nationalisten pokert Berlin hoch. Machtpolitisch schiene es für die Bundesrepublik vorteilhaft zu sein, sollte es gelingen, die Abspaltung Schottlands und seine Aufnahme in die EU durchzusetzen: Großbritannien wäre erheblich geschwächt; Deutschland und die EU dagegen wären durch den EU-Beitritt eines neuen, von Berlin abhängigen Mitgliedstaates ein wenig gestärkt. Allerdings ist nicht nur unklar, ob Schottlands Abspaltung durchgesetzt werden kann. Auch wenn sie gelänge, wäre die Aufnahme des Landes in die Union überaus ungewiss: Mehrere EU-Staaten, darunter Spanien, lehnen jede Einbindung von Separatisten ab, weil sie selbst von Sezessionsbestrebungen bedroht sind. Ein isolierter Verbleib eines abgespaltenen Schottlands außerhalb der Union wäre nach gegenwärtigem Stand durchaus wahrscheinlich. Berlin hätte seine schottischen Parteigänger dann in eine missliche, von ihnen nicht gewünschte Lage geführt.

Hinzu kommt, dass London die deutsche Unterstützung für die schottischen Nationalisten kaum umstandslos hinnehmen wird. Aktuelle Planungen der Bundesregierung sehen vor, mit dem Vereinigten Königreich auch nach seinem Austritt aus der EU eng zusammenzuarbeiten, um in einem europäischen Block mit den USA rivalisieren zu können (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Dies gilt aus politischen, besonders aber auch aus militärischen Gründen in der deutschen Hauptstadt als wünschenswert. Dass sich dieses Vorhaben realisieren lässt, sollte Berlin zum Zerfall Großbritanniens beitragen, darf nun allerdings bezweifelt werden. Eine Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich unter tatkräftiger Hilfe Berlins wäre nicht der erste deutsche Pyrrhussieg. 23. September 2019, www.german-foreign-policies.com, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8054/

[1] Kevin McKenna: Nicola Sturgeon's strike for independence should not let the SNP off the hook. theguardian.com 28.04.2019.
[2] S. dazu Das Druckmittel Sezession.
[3] S. dazu Das Druckmittel Sezession (II).
[4] Simon Johnson: Nicola Sturgeon hails "phenomenal" new poll showing majority for Scottish independence. telegraph.co.uk 05.08.2019.
[5] Simon Johnson: Independence referendum fifth anniversary poll shows six out of 10 Scots want to remain in UK. telegraph.co.uk 17.09.2019.
[6] S. dazu Unser Mann in Kiew.
[7] Nicola Sturgeon erhält M100 Media Award. m100potsdam.org 02.09.2019.
[8] Acceptance Speech of Nicola Sturgeon. m100potsdam.org.
[9] Schottland sieht seine Zukunft in der EU. dgap.org 18.09.2019.
[10] Albrecht Meier: Nicola Sturgeon - das nette Gesicht des Nationalismus. tagesspiegel.de 18.09.2019.
[11] S. dazu Ein gefährliches Spiel.


Kein Brexit-Bankenboom

Der Austritt Großbritanniens wird den Anteil der EU an den globalen Finanzmärkten um ein Drittel reduzieren und zugleich die Binnenverhältnisse in der Union zugunsten Frankreichs verschieben. Dies ist das Ergebnis einer neuen Untersuchung über die Folgen des Brexit für die Finanzbranche der Union. Demnach wird die EU nach dem Brexit nur noch 14 Prozent der globalen Kapitalmarktaktivitäten abwickeln - ein Drittel des US-Volumens, etwa genausoviel wie China. Neue Nummer eins in der EU-27 wird Frankreich sein - mit einigem Abstand vor der Bundesrepublik. Die Schrumpfung ist auch darauf zurückzuführen, dass es der EU nicht gelungen ist, Großbanken und andere Finanzinstitute im großen Stil aus London auf den Kontinent zu holen. Brüssel hatte das mit strikten Normen versucht, die vorsehen, dass Finanzgeschäfte in der EU nur von rechtlich selbständigen Einheiten in einem EU-Staat abgewickelt werden können. Tatsächlich hat sich die Branche beim Umzug auf den Kontinent auf das Notwendigste beschränkt; der erhoffte Bankenboom etwa in Frankfurt am Main bleibt aus.

Die Bemühungen der EU, Banken und andere Unternehmen der Finanzbranche anlässlich des Brexit zum Umzug aus London in die verbleibenden 27 EU-Staaten zu bewegen, kommen bislang in deutlich geringerem Umfang als erhofft voran. Bereits zu Jahresbeginn hatte eine Analyse der Nachrichtenagentur Bloomberg ergeben, dass Finanzinstitute wie JPMorgan Chase & Co. oder die Deutsche Bank jeweils planten, 400 bis 500 Arbeitsplätze auf den Kontinent zu verlegen - kaum zehn Prozent der Zahl, von der noch im Jahr 2016 die Rede gewesen war. Damals hatten manche Experten behauptet, insgesamt werde London wohl mehr als 200.000 Finanzjobs verlieren. Jetzt räumen Spezialisten wie etwa die Beratungsfirma EY ein, man gehe nur noch von 7.000, maximal 10.000 Arbeitsplatzverlegungen in die künftige EU-27 aus.[1] Damit verliert London weniger als die Deutsche Bank, die in einer Krise steckt und deshalb die Streichung von 18.000 Arbeitsplätzen angekündigt hat, davon möglicherweise 6.000 in Deutschland. Die Finanzbranche beschäftigt in London nach jüngsten Angaben rund 700.000 Personen. In Frankfurt am Main, das sich als Rivale der britischen Hauptstadt sieht und vom Brexit profitieren will, sind es rund 70.000.

Dabei warnen Beobachter, die EU könne sich mit dem Versuch, größtmögliche Teile der Londoner City zur Übersiedlung zu nötigen, noch in eine Sackgasse manövrieren. EU-Regeln schreiben vor, dass Finanzinstitute diverse Finanzgeschäfte über rechtlich selbständige Einheiten in einem EU-Staat abwickeln müssen. Durch diese Vorschriften gezwungen, haben laut Angaben der EZB inzwischen 24 Großbanken die Verlegung ihrer EU-Zentralen aus der britischen Hauptstadt auf den Kontinent eingeleitet; die EZB rechnet dabei mit der Verschiebung von Vermögenswerten in Höhe von gut 1,3 Billionen Euro.[2] Allerdings kommt der Prozess nur schleppend in Gang. Vor einigen Wochen mahnte der Chef der EZB-Bankenaufsicht, Andrea Enria, bislang hätten die Kreditinstitute deutlich weniger Personal und Funktionen auf den Kontinent verlegt als geplant: "Banken sollten nun die Umsetzung ihrer Brexit-Pläne beschleunigen".[3] Beobachter weisen darauf hin, dass das Zögern der Finanzbranche nicht zuletzt auf desolate Nachrichten aus der Eurozone zurückzuführen ist - von der drohenden Rezession über das eklatante Schwächeln etwa der Deutschen Bank bis hin zur Möglichkeit einer erneuten Eskalation der Eurokrise. Im Bemühen, Kreditinstitute mit starren Normen zum Umzug in die EU-27 zu nötigen, schotte sich die EU nun nur noch weiter ab, heißt es in US-Kommentaren; ihr Finanzmarkt werde dadurch "weniger global und weniger attraktiv".[4]

Tatsächlich hat der Finanzplatz London in mancher Hinsicht zuletzt sogar an Bedeutung gewonnen. So ist der Anteil der City am globalen Währungshandel von 37 Prozent im Jahr 2016 auf heute 43 Prozent gestiegen; gleichzeitig ist New York von einem Fünftel auf ein Sechstel zurückgefallen, während Singapur und Hongkong bei jeweils acht Prozent liegen. Nummer zwei in Europa nach Großbritannien ist die Schweiz (3,3 Prozent).[5] Ähnlich sieht es beim globalen Derivatehandel aus - London hat dort seinen Anteil auf 50 Prozent steigern können und damit New York deutlich hinter sich gelassen, das auf knapp ein Drittel abgerutscht ist. Kein europäischer Staat außer dem Vereinigten Königreich hält einen Anteil von mehr als zwei Prozent.[6] Großbritannien liegt zudem auf dem Fintech-Sektor weit vorn. Im Jahr 2017 stiegen die Investitionen in britische Fintech-Unternehmen um 153 Prozent auf mehr als 1,6 Milliarden US-Dollar und erreichten 2018 sogar 3,3 Milliarden US-Dollar - 56 Prozent der Investitionen, die in ganz Europa in der Branche getätigt wurden. Ganz unabhängig vom Brexit, so heißt es in Fachkreisen, leuchte "Londons Fintech-Szene heller denn je zuvor".[7]

Zu den Auswirkungen, die die Trennung vom Finanzplatz London für die Finanzmärkte der EU-27 hat, liegt nun eine aktuelle Untersuchung des Londoner Think-Tanks New Financial vor. Demnach wickelt das Vereinigte Königreich zur Zeit rund 31 Prozent aller EU-Kapitalmarktaktivitäten ab - mehr als Frankreich und Deutschland zusammen. Der Brexit wird den EU-Kapitalmarkt damit um ein knappes Drittel verkleinern. Dann verfügt die EU nicht mehr über einen Anteil von immerhin 21 Prozent an den globalen Kapitalmarktaktivitäten - halb so viel wie die USA -, sondern nur noch über einen Anteil von 14 Prozent, in etwa so viel wie China.[8] Die Auswirkungen dieser massiven Schrumpfung auf den globalen Einfluss und damit auf die Weltmachtambitionen Berlins und der EU [9] liegen auf der Hand.

Hinzu kommen womöglich weitreichende innere Folgen für die EU. Die Union werde mit ihrem stärksten Finanzmarkt nicht nur Marktvolumen, sondern auch wertvolles Know-how verlieren, heißt es in der New Financial-Untersuchung. Sie werde zudem noch stärker als bisher mit einem labilen Bankensektor zu kämpfen haben. Zugleich sei damit zu rechnen, dass bedeutende EU-Kapitalmarktaktivitäten weiterhin von London aus und damit von außerhalb der Union gesteuert würden.[10] Nicht zuletzt verschöben sich die Gewichte innerhalb der EU-27 erheblich. Sei bisher das Vereinigte Königreich auf dem EU-Finanzmarkt die unbestrittene Nummer eins gewesen, so werde ihm nach dem Brexit Frankreich auf dieser Position folgen - mit einem Anteil von rund 24 Prozent an den Kapitalmarktaktivitäten der verkleinerten Union. Deutschland werde mit einem Anteil von 19 Prozent nur den zweiten Platz einnehmen. Die Autoren der Analyse kommentieren diese für die EU eher ungewöhnliche Reihenfolge mit der Parole "Vive le Brexit". 19. September 2019, www.germand-foreign-polcies.com, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8050/

[1] Lionel Laurent: Move Your Bankers to Paris or Frankfurt... Or Else. washingtonpost.com 23.08.2019.
[2] Banken bringen wegen Brexit Billionenwerte in Euro-Raum. manager-magazin.de 28.08.2019.
[3] EZB-Bankenaufsicht mahnt Geldhäuser zur Eile bei Brexit-Vorbereitungen. handelsblatt.com 04.09.2019.
[4] Lionel Laurent: Move Your Bankers to Paris or Frankfurt... Or Else. washingtonpost.com 23.08.2019.
[5], [6] Tim Wallace, Harriet Russell: London more dominant than ever in currency and derivatives market as UK defies Brexit blues. telegraph.co.uk 16.09.2019.
[7] Why London's Fintech Scene is Largely Unfazed by Brexit. thefintechtimes.com 17.09.2019.
[8] Panagiotis Asimakopoulos: Report: what do EU capital markets look like on the other side of Brexit? newfinancial.org September 2019.
[9] S. dazu Die Lust an der Macht.
[10] Panagiotis Asimakopoulos: Report: what do EU capital markets look like on the other side of Brexit? newfinancial.org September 2019.


Europa sucht händeringend Fachkräfte

Europa steuert gemäss manchen Wirtschaftskreisen auf die demographische Falle zu: Immer mehr Leute verlassen altersbedingt den Arbeitsmarkt, während die Zahl der Neueinsteiger nicht ausreiche, um die entstehende Lücke zu schliessen. In den mitteleuropäischen Polen, Tschechien und Ungarn können es sich vor allem junge Studienabgänger, aber auch Industriearbeiter heute leisten, wählerisch zu sein. Die Knappheit spiegelt sich in stark steigenden Einkommen. In Polen, Tschechien und Ungarn haben die Löhne jüngst stark zugenommen. Die Auswanderung vieler Landsleute nach Westen sowie der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre haben die Arbeitsmärkte ausgetrocknet.

Trotz der konjunkturellen Abkühlung bleibt das Thema auch in Deutschland virulent. Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag sehen 60% der befragten Unternehmen den Fachkräftemangel als grösstes Geschäftsrisiko. Obwohl so viele Menschen in Deutschland arbeiten wie nie zuvor, sind mehr als eine Million Stellen unbesetzt. Ein besonderes Nachwuchsproblem hat dabei der Osten Deutschlands, der besonders stark um Schweizer Ansiedlungen wirbt. Hier haben Firmen im Schnitt jeweils ein Drittel ihrer Ausbildungsplätze nicht besetzen können, im Westen ist es ein knappes Viertel. Die Regierung in Berlin hat im Juni 19 ein Gesetz verabschiedet, dank dem mehr Fachleute von ausserhalb Europas angezogen werden sollen.

Selbst in Ländern wie Spanien, das nach wie vor unter einer hohen Arbeitslosenquote ächzt, sind in einigen Branchen Knappheitserscheinungen auszumachen. So kann der börsenkotierte Technologiekonzern Indra Sistemas, der unter anderem Satellitenkommunikationssysteme entwickelt, jährlich bis zu 800 Stellen nicht besetzen und muss Fachleute aus dem Ausland anwerben.

Auch in der Schweiz hat sich die Situation in den zurückliegenden Jahren akzentuiert. Laut Umfragen leiden hierzulande gut 90 000 kleine und mittelgrosse Unternehmen unter einem mehr oder weniger grossen Fachkräftemangel. Er ist zwar keinesfalls flächendeckend. Die Situation spitzt sich allerdings zu. Unter Ausklammerung der Einwanderung steigen bereits heute mehr Erwerbstätige altersbedingt aus dem Arbeitsmarkt aus, als neue hinzukommen. Gesucht sind vor allem Pflegefachleute, Elektromonteure, Projektleiter, Softwareentwickler, Ingenieure, Verkaufsberater oder Sanitärinstallateure. Besonders akut ist die Situation bei den Pflegeberufen. Mit der nahenden Pensionierung der Babyboomer werden in der Branche auf einen Schlag viele Fachkräfte wegfallen. Gleichzeitig nimmt mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung der Bedarf nach Pflegeleistungen kontinuierlich zu.

Über alle Branchen hinweg betrachtet, prognostizieren die Ökonomen der UBS für die kommenden zehn Jahre eine Lücke von 690 000 Vollzeitstellen für die Schweiz. Wie gross der Fachkräftemangel tatsächlich ausfallen wird, hängt allerdings von Faktoren wie dem Wirtschaftswachstum oder der Einwanderung ab.

In einigen Bereichen dürfte die Automatisierung und Digitalisierung dazu beitragen, den Arbeitskräftemangel abzufedern. Relativ gross ist der Spielraum für Automatisierungen laut einer Studie der Credit Suisse in der Spitzenindustrie sowie bei den Unternehmensdienstleistern. Im Gegenzug werden der Einsatz und die Überwachung von Computerprozessen, Maschinen und Robotern aber zusätzlichen Bedarf an Computer- und Software-Spezialisten, Wartungsfachkräften, Mechatronikern, Ingenieuren, Big-Data-Spezialisten oder Tele-Chirurgen generieren. Die Entwicklung der Vergangenheit gibt einen Anhaltspunkt, wohin die Reise geht. So hat in der Schweiz der Anteil der Arbeitsstellen, für die lediglich eine mittlere Qualifikation erforderlich ist, in den zurückliegenden zwanzig Jahren markant abgenommen. Gleichzeitig ist der Anteil hochqualifizierter Jobs laut einem Vergleich der 23 wichtigsten Industriestaaten der OECD hierzulande am stärksten gewachsen.

Es gibt aber einige Faktoren, welche die Klagen über den ausgeprägten Fachkräftemangel relativieren. Zum einen haben die (realen) Löhne – ökonomisch ein guter Knappheitsindikator – in der Schweiz in den zurückliegenden Jahren stagniert. Selbst in besonders betroffenen Branchen wie dem Ingenieurwesen oder den Pflegeberufen lassen sich keine ausgeprägten Lohnsteigerungen feststellen. Zum anderen besteht in der Schweiz nach wie vor ein relativ grosses Reservoir an nicht ausgeschöpften Arbeitskräften. 2018 belief es sich auf 830 000 Personen.

Das Hauptproblem ist aber, dass sich das Angebot an Arbeitskräften oftmals nicht mit der Nachfrage der Unternehmen deckt. So lässt sich beispielsweise nicht jeder arbeitslose Landwirt oder Bäcker zum eidgenössisch diplomierten Automatiker ausbilden. Gleichzeitig gibt es beispielsweise bei den Informatikern trotz erheblichem Mangel an Softwareentwicklern, System-Engineers oder Projektmanagern eine relativ grosse Anzahl an Stellensuchenden. Denn viele von ihnen bringen nicht die geforderte Spezialisierung mit, beherrschen nicht die neusten Technologien und bekunden auf dem Arbeitsmarkt Mühe.

Tatsächlich hat sich in der jüngsten Vergangenheit die Schere zwischen dem Anforderungsprofil der Unternehmen und dem vorhandenen Arbeitskräftepotenzial geöffnet. Dies ist in Anbetracht der zunehmenden Spezialisierung und der Entwicklung hin zu besonders bildungsintensiven Arbeitsplätzen nicht erstaunlich.

Bisher hat die Schweiz ihren Mangel an qualifizierten Spezialisten einigermassen problemlos durch die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte abfedern können. Mit ihren hohen Löhnen wirkt sie nach wie vor als Magnet. In Zeiten, da die Arbeitsmärkte in den Nachbarländern boomen und auch dort die Nachfrage nach gut ausgebildetem Personal hoch ist, ist die Rekrutierung im Ausland allerdings schwieriger geworden. So hat die Zahl der eingereisten Personen jüngst deutlich nachgelassen. Ausserdem ist der politische Widerstand gegen die Zuwanderung in den zurückliegenden Jahren gewachsen, wie das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP zeigt. NZZ, 18. September 2019, S. 26


Nachbarregionen werfen sich in Brüssel für die Schweiz in die Bresche

Dass die EU-Kommission Ende Juni 19 die Fortschritte auf dem Weg zu einem Rahmenabkommen als ungenügend erachtete und die Schweizer Börsenäquivalenz nicht verlängerte, löste bei den Mitgliedstaaten keineswegs nur Begeisterung aus. Doch Bemühungen, die Kommission zu einem Kurswechsel zu bringen, blieben aus. Nun aber melden sich erstmals die Nachbarregionen der Schweiz zu Wort, die von einer Eskalation zwischen Bern und Brüssel unmittelbar betroffen wären. Auf Initiative Baden-Württembergs haben insgesamt neun Regionalpräsidenten ein gemeinsames Schreiben an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versandt, in dem sie eindringlich vor einer einer negativen Dynamik warnen, die die Chancen des Rahmenabkommens schmälern würde.

Der am 2. September versandte Brief, der der NZZ vorliegt, ist von deutscher Seite von den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg) und Markus Söder (Bayern) signiert. Aus Österreich unterzeichneten die Landeshauptleute aus Tirol und Vorarlberg, aus Frankreich die Regionalpräsidenten von Auvergne-Rhône-Alpes, Bourgogne-Franche-Comté sowie Grand Est. Aus Italien stehen die Unterschriften des Regionalpräsidenten des Aostatals sowie des Landeshauptmanns der Provinz Bozen-Südtirol unter dem Schreiben. Demgegenüber fehlen die von Vertretern der Lega und der Forza Italia geführten Regionen Lombardei und Piemont. Dem Vernehmen nach wurden auch die Präsidenten dieser Regionen angefragt, doch wollten sie zuerst die Regierung in Rom konsultieren und gaben danach keine Rückmeldung mehr.

Das Schreiben der neun Regionalpräsidenten ist in englischer Sprache verfasst. Die Wortwahl ist sehr diplomatisch und wirkt manchmal etwas kryptisch, offene Kritik an der Kommission wird vermieden. Die jüngsten Entwicklungen geben den Regionalpräsidenten aber «Anlass zu grosser Sorge», wie sie schreiben. Die Schweiz sei angehalten, sich auch mit Blick auf das Rahmenabkommen an Abmachungen zu halten – der Vertragstext wird als «fair und ausgeglichen» bezeichnet. Nach der Nichtverlängerung der Börsenäquivalenz drohe aber eine Dynamik, die die Schweiz und die EU weiter auseinandertreibe.

Die Regionalpräsidenten befürchten, dass eine Ablehnung des Rahmenabkommens bei einer Volksabstimmung den bilateralen Verträgen die Grundlage entzöge – mit negativen wirtschaftlichen Folgen für die Nachbarregionen. Zudem weisen sie darauf hin, dass die Schweiz als direkte Demokratie besonders auf den Einbezug aller relevanten Gruppierungen achten müsse. Sie plädieren daher für mehr Verständnis: «Es ist wichtig, mit Besonnenheit und Vorsicht zu reagieren und der Schweiz genug Zeit zu geben, um alle sozialen Gruppen zu involvieren.»

Der Brief ist an EU-Kommissions-Präsident Juncker adressiert. In Kopie ging er aber unter anderem auch an Ursula von der Leyen, die Junckers Nachfolge antritt und den künftigen Kurs gegenüber der Schweiz mitprägen wird. Dass sich die Nachbarregionen erstmals überhaupt koordiniert in die Beziehungen zwischen Bern und Brüssel einschalten, zeigt, dass sie die Gefahr einer Negativspirale als gross einstufen. Doch während den Regionen keine formelle Rolle zukommt, ist von der Leyen an die Beschlüsse aller Mitgliedstaaten gebunden, bei denen das Verständnis für die Schweiz insgesamt kleiner ist. NZZ, 4. September 2019, S. 13


Die Ära der Sanktionskriege

Mit der Caritas international fordert erstmals ein großes kirchliches Hilfswerk aus Deutschland explizit die Aufhebung der EU- und US-Sanktionen gegen Venezuela. Es bestehe "kein Zweifel daran", dass die Sanktionen die Lage der venezolanischen Bevölkerung erheblich verschlechterten, urteilt Oliver Müller, der Leiter der Organisation; es sei "unter humanitären Gesichtspunkten dringend geboten", sie zu beenden. Schon im April kam ein US-Think-Tank in einer ausführlichen Untersuchung zu dem Schluss, allein die seit 2017 neu verhängten Sanktionen gegen Caracas hätten zu steigendem Mangel an Nahrung und Medikamenten geführt und dadurch mehr als 40.000 Venezolaner das Leben gekostet. Damit wären die Sanktionen etwa so tödlich für Zivilisten wie der Krieg in Afghanistan. Dessen ungeachtet hat die EU in der vergangenen Woche die Strafmaßnahmen gegen Venezuela erneut verstärkt. Tödliche Folgen hat die immer exzessivere westliche Sanktionspolitik auch für Zivilisten in einer Reihe weiterer Länder, darunter Kuba, Syrien und Iran.

"Caritas international", das Auslandshilfswerk der deutschen Caritas, übt scharfe Kritik an den Sanktionen der EU und der USA gegen Venezuela. Es bestehe "kein Zweifel daran", dass die Sanktionen die ohnehin schlechte humanitäre Lage im Land "wesentlich verschärft haben", urteilt Oliver Müller, der Leiter der Organisation.[1] Untersuchungen der Caritas in Venezuela zeigten, dass mittlerweile rund 28 Prozent der Schwangeren im Land untergewichtig seien. Zudem litten "rund 57 Prozent der Kinder unter fünf Jahren unter gesundheitlichen Problemen infolge von Mangelernährung". Sogar "Krankheiten wie Malaria" seien inzwischen "wieder auf dem Vormarsch", weil das Gesundheitssystem nur noch unzureichend funktioniere. "Es darf nicht sein, dass politische Grabenkämpfe auf dem Rücken dieser Menschen ausgetragen werden", erklärt Müller.[2] Im Interview mit dem Deutschlandfunk forderte der Caritas international-Leiter in der vergangenen Woche explizit, es sei "unter humanitären Gesichtspunkten dringend geboten, die Sanktionen aufzuheben".

Über die Folgen der transatlantischen Sanktionen gegen Venezuela liegen inzwischen umfassende Untersuchungen vor. So stellte bereits im April eine Studie des Washingtoner Center for Economic and Policy Research (CEPR) fest, die Lebensmittelimporte in das Land seien aufgrund der Sanktionen dramatisch eingebrochen. Dies habe dazu geführt, dass laut offiziellen Angaben gut 22 Prozent aller venezolanischen Kinder wegen Mangelernährung im Wachstum zurückgeblieben seien.[3] Es gebe einen eklatanten Mangel an Medikamenten, der mehr als 300.000 Personen stark gefährde, darunter HIV-, Krebs- und Dialysepatienten. Es sei offensichtlich, dass die Sanktionen vor allem "die ärmsten und verletzlichsten Venezolaner" träfen. Das CEPR schätzt die Zahl der Todesopfer alleine der Sanktionen, die seit 2017 verhängt wurden, auf über 40.000. Damit sind in kurzer Zeit mehr Zivilisten durch die Embargomaßnahmen der USA und der EU in Venezuela ums Leben gekommen als im Jahr 2018 im Krieg in Afghanistan. Das CEPR kommt zu dem Ergebnis, die Sanktionen entsprächen der Definition einer Kollektivbestrafung der Zivilbevölkerung, wie sie sowohl laut der Genfer Konvention als auch laut der Haager Landkriegsordnung verboten ist.[4]

Dabei steht der Bevölkerung Venezuelas wohl eine weitere Verschlechterung der Lage bevor. Die Erdölproduktion, mit der das Land den überwältigenden Teil seiner Exporterlöse erzielt, ist von 2,3 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2016 sanktionsbedingt auf maximal noch 850.000 Barrel pro Tag eingebrochen. Laut Berechnungen der New Yorker Investmentbank Torino Capital sind Öleinbußen im Wert von mindestens 16,9 Milliarden US-Dollar pro Jahr unmittelbar auf die US-Sanktionen zurückzuführen. Ein Experte der Bank sagt Venezuela eine Hungersnot voraus. Der UNHCR geht in seinen Prognosen davon aus, dass bis Jahresende fünf Millionen Venezolaner ihr Land verlassen haben werden - auf der Flucht vor Hunger, der in wachsendem Maß durch westliche Sanktionen verursacht wird.[5] Der einstige US-Spitzendiplomat Thomas Shannon vergleicht die Wirkung der Sanktionen explizit mit "den Brandbomben auf Dresden oder Tokio": "Wir sehen die Zerstörung Venezuelas als Land und als Gesellschaft." Die Folgen für Südamerika und die Karibik seien umfassend und würden sich "denjenigen der syrischen Migration nach Europa annähern", lässt sich Shannon zitieren.[6]

Weit davon entfernt, zumindest die eigenen Sanktionen gegen Venezuela einzustellen, legen Berlin und Brüssel nach und verschärfen die EU-Maßnahmen. Während Washington dazu übergeht, ein venezolanisches Programm zur Lebensmittelversorgung mit Sanktionen zu untergraben, das zeitweise bis zu sechs Millionen Haushalte ernährte [7], hat Brüssel - zusätzlich zum bestehenden Verbot, Rüstungsgüter und Repressionsmaterialien zu liefern - der Liste der Venezolaner, die eine Einreisesperre in die EU erhalten und deren etwaige Guthaben in der Union eingefroren werden, von 18 auf 25 verlängert.[8] Zudem drohen sich die extraterritorialen US-Sanktionen gegen den venezolanischen Finanzsektor auf Europa auszuweiten. Venezuelas Botschaft in der Schweiz verfügt seit kurzem über kein Bankkonto mehr, weil die Finanzinstitute des Landes sich wegen der US-Sanktionen dezidiert weigern, Finanztransaktionen mit Venezolanern abzuwickeln. Venezuelas Botschafter bestätigt, es sei der diplomatischen Vertretung seines Landes nicht mehr möglich, Mieten und Gehälter zu zahlen. Dem Botschaftspersonal gehe mittlerweile sogar das Geld für den Kauf von Lebensmitteln aus.[9] Eine solche Zuspitzung der Lage ist auch für die EU nicht mehr auszuschließen.

Die dramatischen Folgen der Sanktionen für Venezuela sind dabei nur ein Beispiel für die tödliche Wirkung, die die immer exzessivere Sanktionspolitik der westlichen Mächte für die Bevölkerungen einer wachsenden Zahl an Ländern hat. Bereits im August 2016 urteilte ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen in einer internen E-Mail, die Sanktionen der EU und der USA gegen Syrien hätten unter anderem zu einer Verdopplung des Benzinpreises binnen 18 Monaten und zu einem 40-prozentigen Rückgang der Weizenproduktion seit 2010 beigetragen und so die ohnehin miserable humanitäre Lage massiv verschlechtert. Syrische Medikamentenfabriken hätten schließen müssen, weil sie die notwendigen Grundstoffe sanktionsbedingt nicht mehr hätten beschaffen können; damit seien die Sanktionen "der Hauptgrund" für den Kollaps des syrischen Gesundheitssystems.[10] Der UN-Sonderberichterstatter zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen, Idriss Jazairy, hat im August 2018 gewarnt, die Iran-Sanktionen zerstörten nicht nur die Wirtschaft des Landes und trieben "Millionen Menschen in die Armut"; bereits in naher Zukunft würden darüber hinaus Patienten in Krankenhäusern sterben, "weil die Medikamente ausgehen".[11]

Im Frühjahr hat Jazairy mit Blick auf die US-Sanktionen unter anderem gegen Kuba, Venezuela sowie Iran, die zum Teil von Brüssel unterstützt und zudem weitestgehend von Unternehmen aus der EU eingehalten werden, erklärt: "Regime change durch wirtschaftliche Maßnahmen, die wahrscheinlich zum Entzug grundlegender Menschenrechte und womöglich sogar zu Hungersnot führen, ist nie eine anerkannte Praxis in den internationalen Beziehungen gewesen." Gravierende politische Konflikte zwischen Regierungen dürften "nie durch die Herbeiführung wirtschaftlicher und humanitärer Katastrophen gelöst werden, die einfache Leute zu Schachfiguren und Geiseln degradieren."[12] Bei den westlichen Mächten, deren Propaganda von ihrem angeblichen Kampf für Menschenrechte und Humanität nur so strotzt, findet Jazairy bis heute kein Gehör. www.german-foreigh-policy, 30. September 2019, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8060/



[1] Caritas: Sanktionen verschärfen humanitäre Situation zusätzlich. deutschlandfunk.de 26.09.2019.
[2] Caritas zutiefst besorgt über Verschärfung der humanitären Lage in Venezuela. caritas-international.de 24.09.2019.
[3], [4] Mark Weisbrot, Jeffrey Sachs: Economic Sanctions as Collective Punishment: The Case of Venezuela. Center for Economic and Policy Research. Washington, April 2019.
[5], [6] Michael Stott: Worries mount over human cost of US sanctions on Venezuela. ft.com 07.07.2019.
[7] Lucas Koerner: US-Regierung verhängt neue Sanktionen gegen Venezuelas Lebensmittelprogramm. amerika21.de 20.09.2019.
[8] EU weitet Sanktionen gegen Venezuela aus. handelsblatt.com 25.09.2019.
[9] David Vonplon: Wegen Zahlungsstopp von Schweizer Banken: Venezuelas Botschaft in Bern geht das Geld aus. nzz.ch 19.09.2019.
[10] S. dazu Politik der verbrannten Erde.
[11] S. dazu Sanktionskrieg um Iran (IV).
[12] US sanctions violate human rights and international code of conduct, UN expert says. ohchr.org 06.05.2019.

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